Coin: Ende des Kartenchaos oder Technik-Spielerei?
Hightech statt simpler Plastikkarten. Auf diesen relativ einfachen Nenner lässt sich das Konzept von Coin bringen. Das Startup aus den USA will dem Kartenchaos in den Geldbörsen dieser Welt – wenngleich vorerst wohl nur im Geburtsland der Idee – ein Ende bereiten. Als Ersatz dient ein modernes Gerät im Kreditkartenformat, mit Display und Button. Darauf sind sämtliche Kartendaten gespeichert. Sie lassen sich jederzeit aufrufen und für Einkäufe, Bargeldverfügungen oder die Punktekonten von Bonussystemen nutzen.
Klingt nach einer praktischen Lösung und übt dank technischer Finessen zweifelsohne eine gewisse Anziehungskraft aus. Ob der mögliche Nutzen die Nachfrage weiter potenziert, ist aber eher fraglich.
Einfach wie eine Münze
Coin (Münze) ist im Zusammenhang mit Zahlungsvorgängen ein durchaus plastischer Begriff und verspricht zwischen den Zeilen eine einfache Handhabung. Doch wie soll das kleine Kärtchen überhaupt funktionieren?
- Interessenten müssen sich erst einmal die Karte bestellen. Regulär kostet sie 100 US-Dollar, im Einführungszeitraum stehen 50 US-Dollar zu Buche.
- Benötigt wird darüber hinaus ein Smartphone, auf dem die Applikation für Coin installiert wird.
- Mit dieser App werden die Karten von beiden Seiten fotografiert respektive gescannt und die Daten auf dem Mobiltelefon gespeichert.
- Im zweiten Schritt wird der Magnetstreifen der Ursprungskarte durch ein Lesegerät am Smartphone gezogen. Die Applikation gleicht die Informationen von den Bildern mit den Daten auf dem Magnetstreifen ab – es ist somit nur dem Kartenbesitzer möglich, aktiv zu werden und eine Kopie anzulegen.
- Anschließend können die Informationen von bis zu acht Karten auf Coin übertragen werden. Die entsprechende Kredit-, Bank- oder Bonuskarte lässt sich dann per Knopfdruck auswählen. Angezeigt werden der Anbieter – zum Beispiel MasterCard oder VISA – und die letzten vier Ziffern der Kartennummer.
- Um zu bezahlen, Geld abzuheben oder sich Punkte gutschreiben zu lassen, reicht es dann, die Coin-Card durch den entsprechenden Magnetkartenleser zu ziehen.
Das Konzept vereint also eine mobile Applikation mit mehreren digitalen Kartendubletten. Optisch macht Coin allerdings nicht viel her. Das Gerät ist mitternachtsschwarz mit weißen Lettern und Ziffern auf dem kleinen Display. Es misst 80,5 mal 54 mal 0,84 Millimeter und ist somit etwas dicker als eine normale Kreditkarte. Gleichwohl sollen die gängigen Kartenlesegeräte problemlos mit dem Kartenklon zurechtkommen – versprechen jedenfalls die Entwickler.
Magnetstreifen ja – Chip nein
Einen Haken hat das Tool vorerst jedoch: Betrachtet man die gängigen Bank- und Kreditkarten, verfügen sie im Euroraum allesamt über einen Chip. Die entsprechende Technik gibt es bereits seit Mitte der 1990er Jahre. Damals wurden die ersten Karten mit einem Chip versehen. Inzwischen nennt sich das Verfahren EVM (Europay International, MasterCard und VISA). Die drei Großen der Branche zeichnen für die Entwicklung des Standards verantwortlich, der den Magnetstreifen weitgehend überflüssig macht. Die für Transaktionen benötigten Daten sind allesamt auf dem Chip hinterlegt.
Der Vorzeichenwechsel vom einfachen Magnetstreifen hin zur Chiptechnologie erfolgte nicht ohne Grund. Der Magnetstreifen ist die Achillesferse jeder Zahlungskarte. Er lässt sich ohne großen Aufwand kopieren. Betrüger haben dann leichtes Spiel, Dubletten anzufertigen. Diese Problematik sollte jedem Bankkunden angesichts der Berichte über manipulierte Geldautomaten und der Sicherheitskampagnen von Kreditinstituten und Polizei hinlänglich bekannt sein.
Sicherheit dank Verschlüsselung
Das Team hinter Coin will auch daran arbeiten und kündigt bereits jetzt an, künftig auch das EVM-Verfahren zu unterstützen. Stellt sich die Frage, wie sicher ist das System, wenn der Fokus derzeit nur auf dem Magnetstreifen liegt? Diesbezüglich weiß der Hersteller zu beruhigen. Die Daten würden sowohl auf dem Smartphone als auch auf der Karte verschlüsselt (128 und 256 Bit) hinterlegt. Außerdem stehen Karte und Telefon auf Wunsch ständig miteinander in Kontakt. Würde die Karte gestohlen oder vergessen und sich dadurch zu lange oder zu weit vom Smartphone entfernen, schlägt die Applikation Alarm. Gleichzeitig wird die Coin-Card deaktiviert und wäre für Betrüger bzw. Diebe damit nicht weiter nutzbar. Auf den Servern von Coin werden nach eigenen Angaben keine sensiblen Daten gespeichert. Nichtsdestotrotz bleibt angesichts der Bündelung vieler Daten in einem Stückchen Plastik ein fader Beigeschmack.
Wir haben nachgefragt, wie Kreditkartenunternehmen und Banken zu dem Geschäftsmodell von Coin stehen:
VISA: Im Markt für elektronisches Bezahlen gibt es derzeit eine Vielzahl von Innovationen. Wir freuen uns über alle Initiativen, die dabei helfen, Verbraucher auf neue Bezahlservices aufmerksam zu machen.
Für Ihren Hintergrund: In Europa ist die Chip-und-PIN-Technologie bereits stark ausgeprägt, die die Kartensicherheit erhöht und Betrug mit Zahlungskarten reduziert. Die meisten Visa Karten in Europa tragen den EMV-Sicherheitschip. Amerika ist noch nicht so weit. Dort werden stärker Magnetstreifendaten genutzt – wie coin das macht.
Bundesverband deutscher Banken – Pressesprecherin Julia Topar: Durch die Digitalisierung wird es einfacher, neue Dienstleistungen zu entwickeln. Daher entsteht gerade viel Neues in kurzer Zeit. Banken beobachten ständig die neuesten technologischen Entwicklungen, da sie ihre Dienstleistungen eng an den Kundenerwartungen ausrichten. Die aktuellen technischen Veränderungen schaffen völlig neue Grundlagen für Geschäftsmodelle, eröffnen Perspektiven, die in dieser Form noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar waren und geschehen mit einer ungeheuren Dynamik. In diesem Umfeld sehen sich Banken neuen Wettbewerbern gegenüber, die sie sehr ernst nehmen. Allerdings sind Banken sehr bedacht bei der Auswahl der technologischen Innovationen. Manchmal ist Zurückhaltung angebracht, da sie als Bank wichtige Infrastrukturen betreiben und eine hohe Verantwortung für den Schutz ihrer Daten haben.
Fazit: teuer erkaufte Ordnung
Noch lohnt sich der Kauf in der Bundesrepublik und den Nachbarländer nur bedingt. Dafür müsste es im Portemonnaie schon vor Bonuskarten wimmeln, die mit einem Magnetstreifen versehen sind. Selbst wenn der EVM-Standard irgendwann Teil des Systems wird, dürfte es relativ schwer sein, den Markt zu erobern. Denn der einzige Vorteil liegt darin, die Geldbörse um einige Karten zu entlasten. Und da hierzulande nur wenige Personen Bank- und Kreditkarten gleich im Dutzend besitzen, wären 100 US-Dollar ein stolzer Preis für etwas mehr Ordnung.